Geschichtswissenschaft

Wahrheit zurichten

Über Sozio- und Psychotechniken
Hrsg. v. Nora Binder u. Bernhard Kleeberg

2023. Ca. 280 Seiten.
erscheint im Oktober

Historische Wissensforschung

ca. 60,00 €
inkl. gesetzl. MwSt.
eBook PDF
ISBN 978-3-16-154542-9
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Dass sich soziale und politische Einstellungen, die Leistungsbereitschaft, oder auch die Wahrheitsfähigkeit des Menschen steuern ließen, ist eine Grundüberzeugung moderner Regierungsformen. Der Band widmet sich der Zurichtung des Subjekts mittels wissenschaftlich fundierter Sozio- und Psychotechniken, die im 20. Jahrhundert gängige Praxis wird.
Mit Blick auf jenes Feld, das sich im 20. Jahrhundert im Rahmen von Sozio- und Psychotechniken verdichtet, widmet sich der Band Zurichtungen des Subjekts durch Politiker und Pädagogen, Psychologen und Sozialingenieure. Gegenstand sind Techniken der Beratung und Seelenführung, ist die Suche nach subjektiven Einstellungen, Verhaltens- und Reaktionsmustern mittels psychodiagnostischer Testverfahren und sozialpsychologischer Experimente; Gegenstand sind Praktiken des social engineering, die der Herstellung zuverlässiger Beobachter, der Therapie oder Resozialisierung von Individuen, der Erziehung zur Freiheit oder der Demokratisierung sozialer Gruppen dienen sollen. Dabei geht der Band der Beobachtung nach, dass Wahrheitsfindung und Berufung auf Wahrheit ebenso Subjektivierungsformen und -programme voraussetzen, bedingen und befördern, wie Subjektivierungsprozesse andererseits ohne Bezugnahme auf bestimmte Wahrheitsformen nicht denkbar sind. Es wird die Frage aufgeworfen, inwiefern die konkreten historischen Psycho- und Soziotechniken unterschiedliche Formen von Wahrheit hervorbringen, reproduzieren oder dementieren. Damit eröffnet sich eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf Wahrheitspraktiken, aus der nicht primär die den diskursiven und experimentellen Zusammenhängen zugrunde liegenden Wahrheitstheorien, sondern vielmehr ganze Wahrheitskulturen und deren mehr oder weniger impliziten Bestandteile in den Blick treten. So versammelt der Band Beiträge zu einer Geschichte der »Regierung des Selbst und der anderen«, die gleichzeitig Annäherungen an eine Praxeologie der Wahrheit darstellen.
Inhaltsübersicht
Nora Binder/Bernhard Kleeberg: Wahrheit zurichten. Einleitung – Bernd Stiegler: Der allgemeine Mensch. Psychotechnik zwischen technischer Utopie und Totalitarismus – Helmut E. Lück: Ansätze der »ursprünglichen« Psychotechnik – Andreas Gelhard: Pietismus und Psychotechnik. Kants Programm der Aufklärung und das Wahrsprechen der Berater – Monika Wulz: Bildstatistische Praktiken. Psychotechniken der partizipatorischen Gesellschaft (Wien um 1930) – Robert Suter: Die Macht der Psyche. Über die autosuggestive Gesellschaft – Jörg Eggstein: Der dissoziale Jugendliche. Die Zurichtung des Unbewussten in der psychoanalytischen Pädagogik August Aichhorns 1918–1938 – David Keller: Faking good – faking bad. Zur Praxeologie von Täuschung und Wahrheit in »objektiven« Persönlichkeitstests – Eric Hounshell: Von der Produktion glaubwürdiger Subjekte. Die Pädagogik des Columbia University Bureau of Applied Social Research Mitte des 20. Jahrhunderts – Nora Binder: Von Nazis und Nieren. Zur Dynamik demokratischer Gruppen bei Kurt Lewin – Bernhard Kleeberg: Stabilisierung im Widerspruch. Zur Sozialpsychologie der 1950er Jahre – Till Greite: Von Palo Alto nach Archway. Psychiatrische Gruppenpraktiken zwischen Kybernetik und Antipsychiatrie – Ulrich Bröckling: Wir müssen immer tun, was wir wollen. Paradoxien einer Erziehung zur Freiheit – Melanie Brand: Praxeologien der Wahrheit im Kontext häuslicher Gewalt in Südafrika. Von narrativen Identitäten, Authentizität und Beweisbarkeit
Personen

Nora Binder Studium der Kultur- und Medienwissenschaften sowie der Geschichte in Weimar, Lyon, Konstanz und Berkeley, CA; Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Konstanzer Exzellenzclusters »Kulturelle Grundlagen Europas«; 2019 Promotion (Konstanz); derzeit Wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsinitiative »Rethinking Infrastructure« an der Universität Konstanz.

Bernhard Kleeberg Geboren 1971; Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Erfurt; forscht und lehrt insbesondere zur historischen Epistemologie und Praxeologie der Gesellschaftswissenschaften vom 18.-20. Jahrhundert.

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