Theologie

Die Religion der Bürger

Der Religionsbegriff in der protestantischen Theologie vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg
Herausgegeben von Georg Pfleiderer und Harald Matern

2021. XIV, 1032 Seiten.
eBook PDF
ISBN 978-3-16-159751-0
Open Access: CC BY 4.0
Gefördert durch: Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
»Religion« ist ein zentraler Begriff der protestantischen Theologie wie zugleich auch der allgemeinen kulturellen Selbstverständigungsdebatten in der Formierungsphase der europäischen Moderne. Die Studien dieses Bandes erschliessen die facettenreichen Beiträge deutschsprachiger protestantischer Theologen zur Geschichte des Religionsbegriffs im 19. Jahrhundert.
»Religion« ist seit dem 17. Jahrhundert einer der zentralen Begriffe der deutschsprachigen protestantischen Theologie. Ab dem 19. Jahrhundert gewann der Begriff im Zusammenhang der religiösen Transformationsprozesse und Weltdeutungskämpfe der modernen Gesellschaft zunehmend auch Verbreitung außerhalb der Theologie. Protestantische Theologen setzten sich auf vielfältige und innovative Weise mit dieser Tatsache auseinander und prägten dadurch wesentlich die moderne Begriffsgeschichte von »Religion« mit. Die in diesem Band versammelten Einzelstudien bilden einen Beitrag zur Erschließung des vielfältigen – zum Teil auch dezidiert ablehnenden – Umgangs mit Begriff und Thematik der »Religion« in den unterschiedlichen Schulrichtungen der deutschsprachigen protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts. Dieses Buch lässt sich damit als Nachschlagewerk nutzen wie auch als thematisch fokussierte Theologiegeschichte lesen.
Inhaltsübersicht
Harald Matern: Einleitung: »Religion«. Zur Innovationsgeschichte deutschsprachiger protestantischer Theologien im 19. Jahrhundert

I. Die Allgemeinheit der Vernunft und die Besonderheit des Religiösen. »Religion« in der Formierungsphase des modernen Nationalstaats (1830–1870)
I.1. »Vermittlungstheologie«: Die Eigenständigkeit der »Religion« in der Kultur
Jörg Dierken: »Sinn und Geschmack fürs Unendliche«. Der Begriff der Religion bei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) − Markus Iff: Anthropologisch-ästhetische Religionstheorie. Der Religionsbegriff Wilhelm M. L. de Wettes (1780–1849) − Markus Firchow: Die erlösende Offenbarung der wahren Religion. Carl Immanuel Nitzsch (1787–1868) − Alf Christophersen: Das Christentum als »schlechthin vollkommene Religion«. Zum Verhältnis von Religion und Texthermeneutik bei Friedrich Lücke (1791–1855) − Harald Matern: »Religion« als integrative Kraft. Zum Religionsbegriff bei Carl Christian Ullmann (1796−1865) − Dorothea Noordveld-Lorenz: Protestantismus als Dienst an der Religion: Daniel Schenkel (1813–1885) − Malte Dominik Krüger: Zwischen Hegel und Schleiermacher. Der Religionsbegriff bei Carl Schwarz (1812–1885)

I.2. Spekulative Wahrheit und geschichtliche Realität der »Religion« – die theologische Idealismusrezeption
Ewald Stübinger: Christliche Religion vor der Herausforderung der neuzeitlichen Religionskritik. Zum Religionsbegriff von Carl Daub (1765−1836) − Cornelia Richter: Konkretes Leben, partikulare Differenz und die Wirklichkeit des Absoluten. Der Religionsbegriff bei Philipp Konrad Marheineke (1780–1846) − Matthias Neugebauer: Der »Organismus der übersinnlichen Welt«. Zum Religionsbegriff bei Christian Hermann Weisse (1801–1866) − Michael Murrmann-Kahl: Das Religionsverständnis Ferdinand Christian Baurs (1792–1860) zwischen Idealismus und Historismus − Christian Danz: Idee und Geschichte. Der Religionsbegriff im Werk von David Friedrich Strauss (1808–1874) − Michael Moxter: Auf Augenhöhe mit der Moderne. Der Religionsbegriff Richard Rothes (1799–1867) − Elisabeth Gräb-Schmidt: Identität und Transzendenz. Zur metaphysikkritischen und ontologischen Relevanz des Religionsverständnisses von Søren Kierkegaard (1813–1855)

I.3. Gefühl, Gewissheit und Autorität: Erweckung und neukonfessionelle Theologien
I.3.1. Erweckung
Peter Schüz: »Pectus est, quod theologum facit«. Religionsbegriff und Frömmigkeitsgeschichte bei August Neander (1789−1850) − Johanna Hestermann: Erfahrung und Offenbarung. »Religion« bei August Tholuck (1799–1877) − Matthias Deuschle: Religion als grundlegendes Orientierungssystem. Der Religionsbegriff bei Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802–1869) − Jobst Reller: Die Auffassung von Religion bei Ludwig Harms (1808−1865), dem Erweckungsprediger der Lüneburger Heide

I.3.2. Konfessionelle Theologien
Walter Sparn: Religion in der Heilsgeschichte. Johann Christian Konrad von Hofmann (1810–1877) − Nadine Hamilton: Extra ecclesiam nulla salus est. Wilhelm Löhes (1808–1872) ekklesiologische Religionskritik − Hans Schwarz: Das Christentum als wahrhaft menschliche Religion der Liebe. Gottfried Thomasius (1802–1875)

I.4. Die freie Wissenschaft der »Religion«: Liberale Theologien in der Schweiz
Matthias Neugebauer: Die Vermessung des Glaubens. Alois Emanuel Biedermann (1819‒1885) − Pierre Bühler: Zwischen Gefühlsahnung und logischer Bewusstseinsentwicklung. Alexander Schweizers (1808–1888) Religionsbegriff im Spannungsfeld von Schleiermacher und Hegel − Stefan Jütte: »Religion« als praktischer Programmbegriff. Ernst Friedrich Langhans (1829–1880)

II. Empirische Diversifizierung und kulturell-politische Synthetik: »Religion« in den Weltanschauungskämpfen der Hochindustrialisierungsgesellschaft (1871–1918)
II.1. Das Reich im Reich – die moralische »Religion« der Ritschl-Schule

Arnulf von Scheliha:
Religion als Selbstdeutung des Geistes. Der Religionsbegriff bei Albrecht Ritschl (1822–1889) − Dietrich Korsch: Vertrauen stiften in der Krise der Sittlichkeit. Der Begriff der Religion bei Wilhelm Herrmann (1846–1922) − Folkart Wittekind: Wissenschaftliche Ansätze zur Erforschung des Christentums im Kontext der Religionsgeschichte bei Julius Kaftan (1848–1926) − Friedrich Schweitzer: Praktische Theologie als »religionswissenschaftlich begründete Religionspädagogik«. Das Programm und Religionsverständnis Friedrich Niebergalls (1866–1932) − Matthias Heesch: Kulturgeschichte – Empirie – Phänomenologie. Zur Deutung von Religion und religiöser Erfahrung im Werk von Richard Kabisch (1868–1914) − Anne Käfer: Die christliche Welt und der Gott der Geschichte. Martin Rade (1857–1940)

II.2. Wahrheit und Geltung der geschichtlichen »Religion«
Markus Iff: Religiöser Trieb und frommes Gefühl. Der Begriff der Religion bei Richard Adelbert Lipsius (1830–1892) − Martin Laube: »Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage«. Zur spekulativen Religionsphilosophie Otto Pfleiderers (1839–1908) − Friedemann Voigt: »Die ganze Scholastik, die mit solchen Definitionen heute noch getrieben wird, ist veraltet.« Kritik und Konstruktion des Religionsbegriffs bei Ernst Troeltsch (1865–1923) − Harald Matern: Gelebte Religion ohne Dogma und Kirche. Zum Religionsbegriff bei Adolf von Harnack (1851–1930) − Jörg Lauster: Die Erfahrung des Heiligen. Religion bei Rudolf Otto (1869–1937) − Lucius Kratzert: Leben mit den Göttern. Religion zwischen subjektiver Anschauung und geschichtlicher Genese. Paul Wernle (1872–1939)

II.3. Lebendige Gemeinschaft der »Religion«: Erweckung und konfessionelle Theologien
Thorsten Dietz: Biblischer Christus und religiöse Kommunikation. Der Religionsbegriff bei Martin Kähler (1835–1912) − Johannes von Lüpke: Gottes Wirksamkeit, menschlich wahrgenommen. Der Religionsbegriff bei Adolf Schlatter (1852–1938) − Matthias Wüthrich: »Die Religion soll das Leben sein«. Zu Christoph Friedrich Blumhardts (1842–1919) vielfältiger Verwendung des Religionsbegriffes − Hartmut von Sass: Das ultimative Entweder/Oder. Zur Gewissheit der Religion bei Karl Heim (1874–1958) − Heinrich Assel: Religion als Gewissensreligion. Aporien und Innovationen Karl Holls (1866–1926) in der Konstellation mit Max Weber und Ernst Troeltsch

II.4. Religionskritik und soziale Gestaltung: Theologien der Jahrhundertwende in der Schweiz
Frank Bestebreurtje: »Die Religion vertritt sich selbst oder sie ist nicht zu vertreten«. Der Begriff der Religion bei Franz Overbeck (1837–1905) − Georg Pfleiderer: »Der lebendige Gott« als religiös-soziale Weltanschauung. Der Beitrag Hermann Kutters (1863–1931) zum Religionsdiskurs der Moderne − Thorsten Meireis: Eigensinnige Gegenbewegung. Revisionen im Religionsbegriff Leonhard Ragaz' (1868–1945)

Harald Matern: Schluss: Ausblick und Epilog »Religion«
Personen

Georg Pfleiderer Prof. Dr. theol.; 1987–1991 Assistent an der Universität Augsburg, 1995−96 Forschungsaufenthalt am King's College London; 1996−99 Assistent an der Universität München; 1999 Berufung zum Ordinarius für Systematische Theologie/Ethik an die Universität Basel; 2004−06 und 2016−18 Dekan ebenda.

Harald Matern Dr. theol., Pfarrer, 2009−19 Assistent an der Professur für Systematische Theologie/Ethik, Universität Basel; 2017−18 Visiting Scholar, Faculty of Divinity, University of Cambridge.

Rezensionen

Folgende Rezensionen sind bekannt:

In: Theologische Revue — https://doi.org/10.17879/thrv-2022–4351 (Gunther Wenz)
In: Theologische Literaturzeitung — 147 (2022), S. 1072–1076 (Markus Wriedt)
In: http://www.religion-weltanschauung-recht.de — https://religion-weltanschauung-recht.net/2022/01/01/georg-pfleiderer-harald-matern-hrsg (Georg Neureither)
In: Theologische Rundschau — 88 (2023), S. 582–597 (Markus Wriedt)