Die neutestamentlichen Passionserzählungen sind Glaubenstexte auf der Basis des Alten Testamentes, keine historischen Berichte. Erlauben sie dennoch Aussagen zum Prozess Jesu? Michael Theobald zieht Bilanz aus der Forschung der letzten 100 Jahre und entwirft einen neuen Zugang zur Geschichte und Theologie der letzten Tage Jesu.
Warum wurde Jesus von Nazaret hingerichtet? Wer war verantwortlich? Wie konnte es dazu kommen, dass der Galiläer, der Menschen gesund gemacht und Feindesliebe gepredigt hatte, ein solch grausames Schicksal erleiden musste?
Aufschluss über die letzten Tage Jesu versprechen die neutestamentlichen Passions- und Ostererzählungen. Doch es sind Glaubenstexte, keine historischen Berichte. Bereits die älteste, wohl in den vierziger Jahren nach Jesu Tod in Jerusalem entstandene Erzählung, auf der die Evangelien fußen, ist ein theologisches Konstrukt auf der Basis des Alten Testamentes. Ausgehend vom Kreuzestitel "König der Juden“, der auf Jesu Verurteilung als angeblicher Königsprätendent hindeutet, bringt die Erzählung unter Bezug auf den Psalter die wahre messianische Würde Jesu narrativ zur Anschauung. Formiert hat sich diese älteste Passionserinnerung anlässlich der jährlichen Paschafeier; sie trägt also liturgische Züge. Umso mehr stellt sich die Frage, ob und wieweit sie Aussagen zu den im Hintergrund stehenden historischen Ereignissen überhaupt zulässt.
Michael Theobald untersucht nach Klärung des hermeneutischen Zugangs die Passionserzählungen gattungskritisch im Kontext der antiken Erzählungen vom Tod berühmter Männer, er rekonstruiert ihre älteste Gestalt und unternimmt den Versuch, ein im Rahmen der zeitgenössischen Macht- und Rechtsverhältnisse plausibles Bild von Vorgeschichte, Ablauf und Folgen des Verfahrens gegen Jesus zu zeichnen. Zudem zieht er Bilanz aus der Forschung der letzten 100 Jahre und entwirft einen neuen Zugang zu Geschichte und Theologie der Passion Jesu.
Inhaltsübersicht:
Hinführung: Memoria und Historia. In Verantwortung vor der Geschichte
1. Motivation und Hindernisse
2. Zur Forschungsgeschichte und den Zielen dieser Studie
I. Teil: Die Quellen. Ihre Beschaffenheit und Herkunft
1. Die Passionserzählungen der vier kanonisch gewordenen Evangelien
2. Apokryph gewordene Evangelien
3. Weitere Quellen jüdischer und römischer Provenienz
4. Ausblick
II. Teil: Die älteste Passionserzählung im Spiegel ihrer kanonischen Rezeption
1. Synchronie und Diachronie. Prinzipien, Methoden und Kriterien der Untersuchung
A. Vorgeschichte (Eingangsteil)
2. Der Einzug Jesu in Jerusalem (Mk°11,1-10 par.)
3. Die Tempelaktion Jesu (Mk°11,15-17 par.)
4. Der »Todesbeschluss« des Hohen Rats, die Salbung Jesu und die Initiative des Judas (Mk°14,1-11 par.)
B. Entscheidung (Mittelteil)
5. Jesu letztes Mahl mit den Seinen (Mk°14,17-31 par.)
6. Jesu Gebetsringen in Getsemani (Mk°14,32-42 par.)
7. Jesu »Auslieferung« (Mk°14,43-52 par.)
8. Jesu Verhör durch das Synedrion und seine Verleugnung durch Petrus.
Bild und Gegenbild (Mk°14,53-72 par.)
9. Jesus vor Pilatus und die Begnadigung des Barabbas.
Nochmals: Bild und Gegenbild (Mk°15,1-20c par.)
C. Das Finale (Schlussteil)
10. Auf Golgota - der Tod Jesu (Mk°15,20d-41)
11. Abnahme des Leichnams Jesu vom Kreuz und sein Begräbnis (Mk°15,42-47°par.)
D. Österlicher Epilog
12. Von der Auffindung der leeren Grabkammer (und der abendlichen Erscheinung Jesu vor den Seinen) »am ersten Tag der Woche« (Mk°16,1-8 par.)
E. Ergebnisse der Überlieferungskritik: Die älteste Passionserzählung
13. Gestalt und Intention der PEG
III. Teil: Die letzten Tage Jesu. Versuch ihrer historischen Re-Konstruktion
1. Die rechtshistorischen Hintergründe des Verfahrens gegen Jesus von Nazareth
2. Was sich historisch-plausibel über die letzten Tage Jesu sagen lässt
3. Prophet gegen Priester. Die Ereignisse der letzten Tage Jesu im Überblick
IV. Teil: Theologische Perspektiven. Geschichte und Theologie
1. Historische Ambiguität und theologische Pluralität
2. Grundzüge einer Theologie der Passion Jesu
3. Memoria passionis - ein Ausblick