Rund 150 Jahre lang prägte die deutsche Jurisprudenz das Rechtsdenken der ganzen Welt. Dieser Tagungsband zur internationalen Fachkonferenz »Greifswald - Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815-1945« nimmt über ein Dutzend bedeutender Greifswalder Juristen aus dieser Zeit in den Blick und untersucht ihre persönlichen Beziehungen zu Stadt und Universität, ihr wissenschaftliches Werk und ihre bleibende Bedeutung.
Greifswald - eine kleine Juristische Fakultät am Rande des Reichs, 1456 gegründet, von 1648 bis 1806 schwedisch, dann bis 1945 preußisch, danach geschlossen, 1992 neugegründet. Bedeutung: Provinzuniversität, also mehr ein Sprungbrett als ein Ort zum Bleiben. Und so gibt es erstaunlich viele berühmte Namen, die hier gelehrt haben - Beseler, Windscheid, Bierling, Heck oder Sartorius, Carl Schmitt, Jacobi, Holstein, Smend, Leibholz. Schaut man genau hin, 'spiegeln' sich in der Fakultätsgeschichte zudem weitere, zum Teil noch berühmtere Namen, etwa Savigny, Ihering, Gerber, Anschütz, Ehrlich, Kelsen.
Ziel der Tagung »Greifswald - Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815-1945« war es, die große Zeit der deutschen (Rechts-)Wissenschaft - also das 19. und frühe 20. Jahrhundert - aus der Perspektive einer kleinen Universität zu rekonstruieren. Daher ging es in den Beiträgen nicht so sehr um einzelne Personen, sondern mehr um das, wofür sie bis heute stehen: etwa Positivismus, Freirechtsschule, Interessenjurisprudenz. Darüber hinaus zeichnen die Beiträge in ihrer Gesamtheit ein sehr vielschichtiges, oft überraschendes Bild: Es reicht von juristischer Methoden- und Dogmengeschichte über Theoriereflexion bis zu Studien mit Durchblick auf Sozialisation und Psychologie. All dies zeigt, wie vielfältig Rechtswissenschaft in die größeren Kontexte wie Recht, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eingebunden war und ist. Und ganz kann sie letztlich wohl immer nur von außen verstanden werden: vom Menschen her. Nicht zuletzt dies sichert der Historie Aktualität.
Inhaltsübersicht:
I. EinführungJoachim Lege: Eine Tagung und ihre Geschichte -
Hans-Georg Knothe: Die äußere Geschichte der Greifswalder Juristischen Fakultät von 1815-1945
II. GrundlagenfächerJoachim Rückert: Recht als Wissenschaft: Friedrich Carl von Savigny -
Andreas Funke: Allgemeine Rechtslehre als Lehre von den juristischen Grundbegriffen: Ernst Rudolf Bierling
III. ZivilrechtBernd-Rüdiger Kern: Germanisten versus Romanisten: Georg Beseler -
Ulrich Falk: Der Gipfel der Pandektistik: Bernhard Windscheid -
Maximiliane Kriechbaum: Von der Pandektistik zum Positivismus: Ernst Immanuel Bekker -
Shu-Perng Hwang: Richterliche Bindung und Freirechtsbewegung: Ernst Stampe -
Heinrich Schoppmeyer: Durchreflektierte Methode: Die Interessenjurisprudenz Philipp Hecks
IV. StrafrechtPeter Collin: Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspraxis: Heinrich von Friedberg
V. Öffentliches RechtWolfgang März: Eine gewisse Unsterblichkeit: Carl Sartorius und Felix Stoerk -
Joachim Lege, Philip Rusche: Staatsrechtlicher Positivismus: Eduard Hubrich -
Dominik Richers: Die Verfassung der Verfassung: Rudolf Smend -
Stefan Korioth: Die geisteswissenschaftliche Methode: Günther Holstein -
Martin Otto: Öffentliches Recht und Arbeitsrecht: Erwin Jacobi -
Reinhard Mehring: … mit symbolischer Bedeutung in der Bahnhofstraße: Carl Schmitts Greifswalder Intermezzo -
Maximilian Wallerath: … Verwaltungsrecht besteht: Arnold Köttgen -
Manfred H. Wiegandt: Von der Weimarer zur Bonner Republik: Gerhard Leibholz
VI. QuerschnitteBernd Rüthers: Entfesselte Jurisprudenz? Zur Wirkung Carl Schmitts -
Filippo Ranieri: Die deutsche Pandektistik: Europäischer Aufstieg und Niedergang eines rechtswissenschaftlichen Modells -
Joachim Lege, Zai-Wang Yoon: Recht als Recht und Recht als Politik: Bierling, Heck und Hans Kelsen
VII. AbschlussLena Foljanty, Sonja Gelinek: Nachtrag: Weitere bedeutende Greifswalder Juristen und ein Nationalökonom -
Joachim Lege: Über Spiegel und Rahmen. Ein Resümee und zwei Standortbestimmungen