Ist die in Max Webers berühmtem Objektivitätsaufsatz geforderte 'Wertfreiheit' in Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften heute noch aktuell? In diesem Band fragen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen nach der Gültigkeit und Fruchtbarkeit des Prinzips der Wertfreiheit und überprüfen die Rolle der Werte in den Humanwissenschaften.
Im Jahre 1904 veröffentlichte Max Weber seinen berühmten Objektivitätsaufsatz, in dem er Werturteilsfreiheit für die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften forderte. Demnach darf der 'objektive' Wissenschaftler zwar wissenschaftsimmanente Wertungen treffen, muss sich aber wissenschaftsexterner Wertungen, vor allem moralischer, religiöser oder politischer Natur, enthalten. Diese Auffassung hat im Laufe des 20. Jahrhunderts zu mehreren philosophischen Grundsatzdebatten ('Positivismusstreit') und zu interdisziplinären Auseinandersetzungen ('Werturteilsstreit') geführt. Hundert Jahre nach Max Webers Programmaufsatz sollte in einem interdisziplinären Symposium die Gültigkeit und Fruchtbarkeit des von Max Weber propagierten Prinzips der Wertfreiheit und die Rolle der Werte in den Human- und Gesellschaftswissenschaften überprüft werden. Der vorliegende Band enthält die Referate und gekürzten Diskussionen eines interdisziplinären Symposiums, das 2004 in Salzburg stattfand. Philosophische, wissenschaftstheoretische und wissenschaftshistorische Grundsatzüberlegungen bilden einen ersten Teil des Bandes, im zweiten Teil folgen Beiträge aus den Disziplinen Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Die philosophischen Standpunkte sind nach wie vor kontrovers, vermitteln aber eine deutlich differenziertere Sichtweise der komplexen Problematik als im legendären Positivismusstreit. Die fachwissenschaftlichen Beiträge referieren nicht nur über den gegenwärtigen Stand der Werturteilsdiskussion in den einzelnen Disziplinen, sondern illustrieren überdies eindrucksvoll, dass sich die Auffassungen über die Rolle von Wertungen und Normen in den Wissenschaften unterschiedlich entwickelt haben.
Inhaltsübersicht:
Gerhard Zecha: Die Wertfragen als Grundproblematik der Wissenschaften. Einführende Bemerkungen
Hans Albert: Max Webers Auffassung zur Wertproblematik und die Probleme von heute
Michael Sukale: Irrationalität und Voluntarismus in Webers Methodologie
Paul Weingartner: Werte in den Wissenschaften
Franz von Kutschera: Über die Möglichkeit, Wertaussagen objektiv zu rechtfertigen
Gerhard Zecha: Der Wertbegriff und das Wertfreiheitspostulat
Gebhard Kirchgässner: Wertfreiheit und Objektivität in den Wirtschaftswissenschaften: Mythos oder Realität?
Siegwart Lindenberg: Objektivität, motivierte Kognition und die Struktur von Institutionen
Klaus Faupel: Die Wertkomponente in den Denkschulen der Disziplin 'Internationale Politik'
Volker Gadenne: Über Werturteile in der Psychologie
Jean-Luc Patry: Die Werturteilsproblematik in der Erziehungswissenschaft