Am Beispiel des antiken Rom, das sich als 'Haupt der Welt' versteht, und seiner Beziehung zu 'Hauptstädten von Provinzen' wird die Frage erörtert, wie das Symbolsystem 'Religion' Zentralität auf den jeweiligen politisch-administrativen Ebenen und im engeren Bereich von Religion selbst inszeniert und geschaffen hat.
Das gewaltige circummediterrane
imperium Romanum ist von einem einzigen städtischen Zentrum aus, der 'ewigen', 'heiligen' Stadt am Tiber, dem
caput mundi, errichtet und über einen vergleichsweise langen Zeitraum hin beherrscht worden. Diese gewaltsame Expansion hat alte Zentren erfaßt, umgestaltet und zerstört wie Karthago, Korinth und Jerusalem. Gleichzeitig wurden neue
capita provinciarum geschaffen (Lyon/Gallien, Caesarea/Judaea, Trier, Köln, Mainz, Tarraco, Corduba, Emerita, Sarmizegetusa/Dacien). Ein wichtiges Thema moderner Urbanistik und Raumforschung ist die Ausbildung eines Zentrums einer Region und das dazugehörige Verständnis zu anderen Zentralorten und der Peripherie. 'Zentralität' ist jeweils Ergebnis vieler Faktoren. Neben der Geographie spielen auch Ökonomie und Demographie eine große Rolle. Das Zentrum ist aber nicht nur eine faktische Verdichtung von Menschen, Ressourcen und Macht, sondern auch eine ästhetisch erfahrbare, emotionale, geistige Mitte. Der Imagination, Konstruktion, Wahrnehmung von Zentralität dienen urbanistische, architektonische, literarische, künstlerische und religiöse Mittel. Zentralität ist deshalb ein fruchtbares Thema in der Erforschung römischer Reichs- und Provinzreligion. Im Mittelpunkt des Bandes steht die Frage, wie und in welchem Ausmaß das Symbolsystem 'Religion' mit seinen Festen, Ritualen, Bildern, Symbolen, mit Götterkult und Kaiserverehrung 'Zentralität' auf den jeweiligen politisch-administrativen Ebenen (regional, überregional) und im engen Bereich von Religion selbst, 'inszeniert', 'repräsentiert', geschaffen hat.
Inhaltsübersicht:
Teil I: Systematische BeiträgeHubert Cancik: Caput mundi. Rom im Diskurs »Zentralität«
Rainer Wiegels: Zentralität - Kulturraum - Landschaft. Zur Tauglichkeit von Begriffen und Ordnungskriterien bei der Erfassung religiöser Phänomene im Imperium Romanum
Jörg Rüpke: Religiöse Zentralisierung in der späten Kaiserzeit. Neue Perspektiven auf traditionelle Priesterschaften und die Rolle des Pontifex maximus
Günther Schörner: Opferritual und Opferdarstellung. Zur Strukturierung der Zentrum-Peripherie-Relation in Kleinasien
Katharina Waldner: Ignatius' Reise von Antiochia nach Rom. Zentralität und lokale Vernetzung im christlichen Diskurs des 2. Jahrhunderts
Teil II: Zentrale Orte und StadtreligionenRudolf Haensch: Provinzhauptstädte als »religiöse Zentren«? Die Situation in Kaiserzeit und Spätantike
Carlos Márquez: Kaiserkult und Zentralität in Hispanien. Die drei »Provinzhauptstädte« Tarraco, Emerita und Corduba
Wolfgang Spickermann: Mogontiacum (Mainz) als politischer und religiöser Zentralort der Germania Superior
Alfred Schäfer: Sarmizegetusa als urbanes und regionales Zentrum der Provinz Dakien
Charalampos Tsochos: Philippi als städtisches Zentrum Ostmakedoniens in der hohen Kaiserzeit: Aspekte der Sakraltopographie
Christof Berns: Konkurrierende Zentren. Überlegungen zur religiösen Repräsentation in Ephesos und den Städten der Provinz Asia in der Kaiserzeit