Rechtswissenschaft

Malte Jaguttis

Freier Hafenzugang für Flüchtlingsschiffe? Friedliche Durchfahrt und Nothafenrecht im Kontext von Fluchtbemühungen über See

Rubrik: Abhandlungen
Archiv des Völkerrechts (AVR)

Jahrgang 43 () / Heft 1, S. 90-128 (39)

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Organizations such as UNHCR and IMO have undertaken measures with regard to the question of the fate and protection of refugees and asylum-seekers rescued at sea. However, a variety of legal problems still remain unsolved. Especially the question whether and under what circumstances vessels, that carry refugees or that have rescued them on the high seas, enjoy a right of port access is of high interest. As the majority opinion of legal writers as well as state practice hold that the non-refoulement principle of the Geneva Convention on Refugees shall not have an extraterritorial application, access to the territorial sea and internal waters of states is decisive regarding the refugees' claims for protection. Therefore, issues related to the international law of the sea will be in the centre of this paper: After a brief survey concerning refugee law-related questions, the first part of this study deals with scope and limitations of the regime of innocent passage through the territorial sea (UNCLOS Arts. 17 et seq.). In a second part, the author turns to the question of port access rights under public international law: Neither the 1923 Geneva Convention on the International Regime of Maritime Ports and the Statute annexed thereto nor customary international law provide for a general right of free access to ports for foreign vessels. Nevertheless, a right of access exists in situations of distress. While this principle as such is unquestioned, its dogmatic origin, scope and content are afflicted with substantial legal uncertainty. This study aims at shedding light on the evolution of the instrument of port access of vessels in distress. Finally, the criteria developed in this regard shall be applied to the 2001 example of the Norwegian container vessel MV Tampa, that Australia had denied the right to call at the port of Christmas Island after it had rescued and taken on board several hundreds of refugees. Fluchtbemühungen über See, insbesondere das Schicksal in Seenot geratener Asylsuchender, stellen eine Herausforderung für das Völkerrecht dar. Obgleich die Frage nach dem Verbleib von Flüchtlingen, die auf Hoher See aus Seenot gerettet werden oder durch eigene Kraft an die Küsten potentieller Zufluchtstaaten gelangen, seit den achtziger Jahren Organisationen wie das UNHCR und die IMO beschäftigt, stehen greifbare völkerrechtliche Resultate bis heute aus. Insbesondere die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen »Flüchtlingsschiffen« der Hafenzugang zu gestatten ist, bleibt äußerst umstritten und bildet den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung: Ausgangspunkt ist die restriktive Auslegung des sog. non-refoulement Grundsatzes der Genfer Flüchtlingskonvention durch die herrschende Meinung. Hiernach sind Zufluchtstaaten nur dann an einer Rückschiebung von Flüchtlingen gehindert, wenn diese sich bereits in ihrem Hoheitsbereich aufhalten. Hinsichtlich der Flucht zu See verweist dies auf die Frage, wann Küstenstaaten ein Einlaufen von Schiffen in ihr Küstenmeer und ihre inneren Gewässer gestatten müssen. Die Untersuchung verfolgt deshalb im Schwerpunkt eine seevölkerrechtliche Perspektive: Nach einem kurzen Überblick über den Stand der flüchtlingsrechtlichen Diskussion widmet sich der erste Teil der Untersuchung zunächst einer Betrachtung von Inhalt und Grenzen des Regimes der Friedlichen Durchfahrt im Küstenmeer (Art. 17 ff. SRÜ). Im zweiten Teil der Abhandlung werden völkerrechtliche Hafenzugangsrechte untersucht. Weder das Genfer Seehäfenstatut von 1923 noch Völkergewohnheitsrecht kennen nach überwiegender Ansicht ein allgemeines Recht auf freien Hafenzugang. Ein solches Zugangsrecht besteht jedoch grundsätzlich in Seenotlagen. Dies ist im Grundsatz unbestritten, gleichwohl bestehen erhebliche Unsicherheiten bezüglich Rechtsgrund, Inhalt und Grenzen dieser Notrechte, die die Praxis mit erheblicher Rechtsunsicherheit belasten. Die vorliegende Untersuchung trägt auf Grundlage einer
Personen

Malte Jaguttis Geboren 1976; Studium der Rechts- und Geschichtswissenschaft in Hamburg; Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg; seit 2009 Rechtsanwalt.