Der dritte der auf vier Bände angelegten Erkundungen der Bestimmung »Leben« analysiert Lebensideologien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, untersucht klassische Versuche, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Lebensbestimmung unter Kontrolle zu bringen, und thematisiert schließlich aktuelle Fragestellungen aus dem Kontext der Biowissenschaften.
Der vorliegende dritte Band der auf vier Bände angelegten Erkundungen zur Bestimmung 'Leben' beginnt mit einer Analyse der Rassen- und Vererbungslehre bzw. der Euthanasiebestimmung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, um die ideologieaffine Vorgeschichte der sogenannten 'Biopolitik' aufzuschlüsseln. Danach werden unterschiedliche gesellschaftspolitische Versuche behandelt, über die Lebensbestimmung reflektiert Kontrolle zu gewinnen, und zwar in einer Zeit, die zugleich von zunehmender Prosperität und Globalisierung wie auch von der Bedrohung des Kalten Krieges bestimmt war. Thematisiert werden die Ökologische Apokalyptik in der Nachkriegszeit, Ambitionen der Friedensbewegung angesichts der Möglichkeit vollständiger Selbstvernichtung, krisenstimulierter Bildungsreformeifer, Wertschätzung industriellen Arbeitslebens und die Verfreizeitlichung des Lebens in eine unendliche Erlebnisorientierung des Lebens hinein. Zugleich zeigt sich, wie angesichts einer sich in Biomedizin transformierenden Medizin Leben zunehmend zu dem wird, was sich medizinisch-biotechnisch optimieren lässt. Ein letzter Teil geht vor dem Hintergrund der ersten beiden Teile aktuell dominanten Thematisierungen des Lebens vor allem im wissenschaftlichen Kontext nach. In eher systematisch angelegten Beiträgen wird aufgeschlüsselt: Wie verhalten sich Leben und Gesellschaft angesichts der Stammzelldiskussion zueinander? Wie wird Leben verrechtlicht? Welches Leben erfasst die Molekularbiologie? Und wie kommt Leben in den Blick im Kontext von Nanobionik, Hybriden und Biofakten, Konstruktionen des Lebens im postgenomischen Zeitalter und in den Neurowissenschaften?
Inhaltsübersicht:
I. LebensideologienUwe Hoßfeld: Rasse, Vererbung und Gesellschaft. Zur Politisierung der Biologie im 20. Jahrhundert -
Marc Rölli: Biopolitik-Analyse. Entwurf einer Forschungsperspektive
II. »Kontrolle« des LebensReiner Anselm: Abtreibung und Emanzipation des Lebens -
Werner Heun: Verrechtlichung des Lebens -
Alexander-Kenneth Nagel: Überleben: Ökologische Apokalypsen im technischen Zeitalter -
Wolfgang Vögele: Leben und Überleben. Der Lebensbegriff im Kontext der protestantischen Friedensbewegung in Deutschland -
Martina Kumlehn: Von der Lebensschule zur multiperspektivischen, differenzorientierten Schulung für das Leben. Exemplarische Zugänge zum Verhältnis von Leben und Bildung -
Traugott Jähnichen: Arbeits-Leben unter den Bedingungen industrieller Massenproduktion. Theologisch-sozialethische Positionen zur Deutung und Gestaltung der Industriearbeit -
Thomas Klie: Kultur und Freizeit -
Jörn Ahrens: Vorannahmen der Gesellschaft. Zum Verhältnis von Gesellschaft und Leben am Beispiel des StZG
III. »Biowissenschaften« und LebenCornelius Borck: Transformation der Medizin zur Biomedizin -
Christoph Rehmann-Sutter: Welches Leben erfasst die Molekularbiologie? -
Elke Witt: Konzepte und Konstruktionen des Lebenden im postgenomischen Zeitalter -
Nicole C. Karafyllis: Hybride, Biofakte, Lebewesen -
Armin Grunwald: Nanobionik. Technik nach dem Vorbild des Lebens? -
Kristian Köchy: Erleben und Erkennen. Zur historischen Entwicklung der Forschungsprogramme in den Neurowissenschaften