In einem historisch-vergleichenden Zugriff untersuchen Rechtswissenschaftler und Theologen in diesem Band Dogmatisierungsprozesse, also historische Prozesse, in denen sich Ordnungsvorstellungen und Deutungsmuster herausbilden - bzw. als solche etabliert werden - und sich dann als professionell tradiertes normatives Wissen begrifflich und institutionell verfestigen.
Dogmatisierungsprozesse sind historische Prozesse, in denen sich Ordnungsvorstellungen und Deutungsmuster herausbilden - bzw. als solche etabliert werden - und sich dann als professionell tradiertes normatives Wissen begrifflich und institutionell verfestigen. In einem historisch-vergleichenden Zugriff untersuchen die Beiträge zu diesem Band solche Prozesse für juristische und theologische Diskurse. Dabei werden neben offenkundigen Unterschieden durchaus auch strukturelle Gemeinsamkeiten deutlich. Besonderes Augenmerk liegt auf den jeweiligen methodischen Standards der normativen Argumentation, die insbesondere im Recht häufig auf eine Beschränkung bzw. Hierarchisierung der einschlägigen Argumente zielen. Hier entstehen Maßstäbe dafür, was als ein akzeptables bzw. inakzeptables Argument gilt. Von besonderer Bedeutung sind zudem institutionelle Prozesse und Strukturen, in denen Dogmatisierungen stattfinden, etwa die Unterscheidung des Rechts von seiner Beschreibung bzw. Anwendung, die prozedurale Verlagerung der Entscheidung normativer Fragen auf Konzile oder Gerichte, oder die Rationalisierung von Dissensen in wissenschaftlichen Schulen. Neben der Autorisierung von Institutionen zur Entscheidung normativer Fragen steht freilich stets auch die Etablierung von textlichen Autoritäten, wie Normtexten, wissenschaftlichen
books of authority, offiziellen Lehrverlautbarungen oder gerichtlichen Entscheidungssammlungen.
Inhaltsübersicht:
Nils Jansen: Dogmatisierungsprozesse in Recht und Religion: Einführung -
Georg Essen: Spätantike Dogmatisierungsprozesse zwischen kirchlicher Traditionsbildung, hellenistischer Wissenskultur und römischer Verfahrensordnung -
Michael Böhnke: Kein anderer Glaube? Das Veränderungsverbot des nizänischen Glaubens in Spätantike und Frühmittelalter -
Susanne Lepsius: Auflösung und Neubildung von Doktrinen nach der Glosse: Die Dogmatik des Mittelalters -
Hubert Filser: Präzisierung und Systematisierung des christlichen Glaubens auf der Basis von Dogmen und Glaubensartikeln im frühen und hohen Mittelalter -
Peter Neuner: Wie lehren die Kirchen verbindlich? Dogmatisierungsprozesse im Spätmittelalter und in der Reformationszeit -
Filippo Ranieri: Kasuistik und Regelbildung bei der Rechtsfindung im europäischen Ius commune des 16. - 17. Jahrhunderts -
Tilman Repgen: Juristisches Dogma in normativer Vielfalt: Eine Nahaufnahme aus der Zeit der Spätscholastik -
Andreas Thier: Dogmatik und Hierarchie: Die Vernunftrechtslehre -
Michael Moxter: Lehre zwischen Positivität und Freiheit: Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert -
Hans-Peter Haferkamp: Dogmatisierungsprozesse im »heutigen Römischen Recht« des 19. Jahrhunderts -
Knut Wenzel: Die Identität der Glaubenswahrheit und die Transformationsprozesse der Moderne: Dogmenhermeneutische Sondierungen