Inwieweit kann Zeitgebundenheit von Normen ein Legitimationsproblem darstellen? Der vorliegende Band thematisiert nicht nur den potenziellen Legitimitäts- und Autoritätsverlust von Normen aufgrund ihres Alters, sondern auch innovative Wege, um die aus einer anderen Zeit stammenden Normen mit neuem Inhalt zu füllen und an veränderte Umstände anzupassen. Dies gilt in besonderem Maße etwa im humanitären Völkerrecht und im Bereich des Menschenrechtsschutzes.
Der vorliegende Band widmet sich im Schwerpunkt der Frage
, inwieweit die Zeitgebundenheit von Normen ein Legitimationsproblem darstellen kann. Diese Fragestellung ist insbesondere virulent bei schwer abänderbaren Normen im Verfassungs- und Völkerrecht. Die Problematik wird unter anderem am Beispiel der soeben in einer Verfassungsreform abgeschafften Schuldenbremse und an den in das Grundgesetz integrierten staatskirchenrechtlichen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung erörtert. Thematisiert wird nicht nur der Legitimitäts- und Autoritätsverlust von Normen aufgrund ihres Alters, sondern auch innovative Wege, um die aus einer anderen Zeit stammenden Normen mit neuem Inhalt zu füllen und an veränderte Umstände anzupassen. Dies gilt in besonderem Maße etwa im humanitären Völkerrecht und im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Der Aufsatzteil umfasst rechtstheoretische, rechtshistorische und rechtsvergleichende Studien zu einer grundgesetzlichen Verfassungstheorie, zu Unrecht im Verfassungsstaat, zum Besatzungsstatut von 1949 und zu den »cavaliers législatifs« im französischen Recht. Debattenthema ist »Strategic Litigation«, deren positive und negative Wirkungen im Zivil-, Europa- und Völkerrecht an konkreten Beispielen kontrovers diskutiert werden. Bei den Portraits und Erinnerungen findet sich ein Beitrag über Reinhard Höhn, einen NS-Ideologen an der Heidelberger Juristischen Fakultät. Der israelische Diplomat und Richter Eljakim Rubinstein reflektiert über seine Erfahrungen bei der Aushandlung internationaler Verträge, mit denen Geschichte geschrieben wurde. Zudem enthält das Jahrbuch Beiträge zu den verfassungsrechtlichen Entwicklungen in so verschiedenen Rechtssystemen wie der Türkei, Brasilien, Argentinien, Spanien und China; besonderes Augenmerk verdient die Darstellung der Rolle des nationalen Verfassungsrechts im Russland-Ukraine-Konflikt.
Inhaltsübersicht:
Christian Waldhoff: Legitimationsverluste des alternden Grundgesetzes? -
Stefan Korioth: »Auf der Höhe der Zeit« und schon »nicht mehr zeitgemäß« - die Legitimationsverluste der drei grundgesetzlichen Schuldenbremsen von 1949, 1969 und 2009 -
Andrea Edenharter: Herrschaft der Toten über die Lebenden? Zur Legitimation der über Art. 140 GG inkorporierten staatskirchenrechtlichen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen -
Hinnerk Wissmann: Die Ordnung des Verwaltungsverfahrens durch Gesetz - Aufstieg, Entwicklung, Grenzerfahrungen -
Paula Rhein-Fischer: Die Verjährung als Aktualisierung gealterter Rechtsverhältnisse im Verwaltungsrecht -
Matthias Ruffert: Zeitgebundenheit öffentlich-rechtlicher Normen als Legitimationsproblem: Das Recht der Europäischen Union -
Angelika Nussberger: Können Menschenrechte altern? -
Michael Riepl: Von der Kunst, alt zu werden. Herausforderungen und Anpassungsmechanismen des humanitären Völkerrechts -
Toru Mori: Verfassungswandel in Japan. Begriffliche Diskussionen und Analyse der neueren Gerichtsentscheidungen
Abhandlungen und AufsätzeMathias Honer: Perspektiven der Verfassungstheorie. Plädoyer für eine grundgesetzliche Elementelehre -
Andreas Funke: Unrecht im Verfassungsstaat. Das Prinzip des Erkenntnisfortschritts als Herzstück eines rechtsstaatlichen Rehabilitierungsrechts -
Bardo Fassbender: Das Besatzungsstatut von 1949 in seinem rechtlichen Zusammenhang mit dem Grundgesetz -
Ruth Weber: Die Überprüfung von »cavaliers législatifs«. Formelle Verfassungsmäßigkeit im deutsch-französischen Vergleich
Debattenthema: Chancen und Grenzen von Strategic LitigationGerhard Wagner: Strategische Zivilprozesse -
Isabel Lischewski: Die Umsetzung sozialer Rechte durch die Verwaltung - eine Perspektive für die strategische Prozessführung? -
Gregor Thüsing/SimonMantsch/Rico Tanner: Strategic Litigation im europäischen Arbeitsrecht: Prozessführung vor dem EuGH als Mittel der Rechtsgestaltung -
Christian Walter: Ist »strategische Prozessführung« eine sinnvolle Kategorie zur Analyse aktueller Verfahren vor dem IGH? -
Angelika Nussberger: »Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen« Strategic Litigation vor dem EGMR -
Johannes Reich: Strategische Prozessführung im Kontext eines hegemonialen politischen Systems. Rechtsstaatliche und politische Kosten und Chancen gerichtlich initiierten sozialen Wandels im schweizerischen Bundesstaat
Portraits und ErinnerungenKlaus-Peter Schroeder: Reinhard Höhn (1904 - 2000) - Die Habilitation eines NS-Ideologen an der Heidelberger Juristischen Fakultät -
Elyakim Rubinstein: Critical Policy Decisions: Will vs. Reality. From the Memories of a Witness-Participant
Entwicklungen des VerfassungsrechtsHüseyin Yildiz: Das türkische Verfassungsgericht - quo vadis? -
Carlos Ruiz Miguel: Constitutional Courts: Protectors or Danger for the Rule of Law? Spain as Case Study -
Alexander Gorskiy: Recht als Lösung und Hindernis: Zur Rolle des nationalen Verfassungsrechts im territorialen Konflikt in der Ukraine -
Raúl Gustavo Ferreyra: The Idea of Constitution and its Reform. With a Special Reference to Brazil and Argentina -
Teng-Chieh Yang/Qiang Su: A New Model of Legislative Control: On China's System of Recording and Review of Legislation
LandesverfassungsrechtPhilipp Austermann: Neue Entwicklungen im Abgeordnetenrecht der Länder -
Matthias Friehe: Das System wahlprüfungsrechtlicher Rechtsbehelfe in Bund und Ländern.