Im binären System der Grundrechte ist der Mensch geschützt, der Staat ist dessen Rechten verpflichtet. Doch juristische Personen verwischen die Grenze zwischen Mensch und Staat. Dieser Vergleich der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und US Supreme Court zu korporativen Verfassungsrechten zeigt gemeinsame Herausforderungen und unterschiedliche Lösungen des Problems im deutschen und US-amerikanischen Recht.
Die Grundrechte bauen auf einem binären System von Mensch und Staat auf. Der Mensch ist in diesem System grundsätzlich durch die Verfassung geschützt, der Staat muss dessen Rechte achten. Grundrechtsverpflichtung und -berechtigung stellen nach dem Konfusionsargument zwei sich grundsätzlich gegenseitig ausschließende Pole dar. Doch juristische Personen sind weder Mensch noch Staat und stören, seitdem sie existieren, das System des binär aufgebauten Verfassungsrechts. Julia Weitensteiner arbeitet die Antworten heraus, die das Bundesverfassungsgericht und der US Supreme Court in ihrer Rechtsprechung in den letzten 200 Jahren auf die Fragen der Grundrechtsberechtigung von juristischen Personen gefunden haben. Anschließend hinterfragt sie, ob die traditionellen binären Muster des Verfassungsrechts wirklich so zwingend sind, und stellt die jeweiligen Lösungen in den Rechtssystemen Deutschlands und der USA anhand der Methode des Rechtsvergleichs und auch mit Blick auf neue digitale Akteure im Verfassungsrecht auf den Prüfstand.
Inhaltsübersicht
EinführungA. Die Zweiteilung der (juristischen) Welt
B. Problemstellung
Kapitel 1: GrundlegungA. Die Risiken der Rechtsvergleichung und die korrespondierende Methodik
B. Der Gegenstand und die Ziele der durchzuführenden Rechtsvergleichung
C. Terminologische Grundlagen
Kapitel 2: Grundrechte juristischer Personen im GrundgesetzA. Das Urteil des BVerfG zur AtG-Novelle – Staat ist nicht gleich Staat
B. Der Sinn und Zweck von Art. 19 Abs. 3 GG
C. Problemfelder in der Anwendung von Art. 19 Abs. 3 GG
D. Fazit: Juristische Personen als Herausforderung für die binären Prinzipien der deutschen Grundrechtsdogmatik
Kapitel 3: Der gesellschaftliche Kontext korporativer Organisationsformen in den USAA. Corporations in den Vereinigten Staaten von Amerika
B. Corporations in der Wahrnehmung der Verfassungsväter
C. Das rechtstheoretische Konzept der corporation in den USA
Kapitel 4: Die Verfassungsrechte privater corporations in der Rechtsprechung des US Supreme Court
A. Urteile in der Zeit der special charter
B. Die Anfangszeit der general incorporation laws
C. Der korporative Griff nach den Rechten des 14. Zusatzartikels
D. Corporate Criminal Liability und ihre verfassungsrechtlichen Folgen zum Beginn des 20. Jahrhunderts
E. Konsolidierung der corporate constitutional rights Rechtsprechung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
F. First Amendment rights für corporations: commercial und political speech
G. First Amendment rights für corporations: Religionsfreiheit
H. Fazit: Die fortschreitende Ausweitung der corporate constitutional rights durch den US Supreme Court
Kapitel 5: Die Verfassungsrechte staatsnaher corporations in der Rechtsprechung des US Supreme CourtA. Staatsnahe corporations und die State Action Doctrine
B. Korporative Untereinheiten des Staates
C. Dem Staat zurechenbare private corporations
D. Ausnahmen: Verfassungsberechtigung öffentlicher corporations
E. Fazit: Grundsätzlich (noch) keine konkreten individuellen Verfassungsrechte für staatliche corporations
Kapitel 6: Kritik und Lösungsansätze aus der US-amerikanischen rechtswissenschaftlichen LiteraturA. Constitutional rights und corporate theory in der Literatur
B. Die Trennung von public und private in der rechtswissenschaftlichen Literatur
C. Fazit
Kapitel 7: RechtsvergleichA. Die Verfassungsrechte von Korporationen in den USA und in Deutschland
B. Die Rechte staatsnaher Korporationen
Schlussbetrachtung A. Tertium datur
B. Quartum datur?