Manifeste Selbsttäuscher können uns gehörig herausfordern; auch philosophisch, wenn sie dies dann auch aus begrifflichen Gründen tun. Anknüpfend an die gegenwärtige Diskussion um Selbsttäuschung analysiert Simone Neuber eine Sache namens »Selbstbetrug« und zeigt auf, wie problematisch sich das Begriffsraster der »Selbsttäuschung« auch dann erweist, wenn man mit ihm vermeintlich sach-einschlägige Texte der Philosophiegeschichte liest.
Anknüpfend an die gegenwärtige Diskussion um Selbsttäuschung wirft Simone Neuber einen Blick in die Geschichte. Sie analysiert und erhellt die Hintergründe einer Sache »which we may call self-deceit« (Daniel Dyke). Dabei berücksichtigt sie frühere Diskussionen über die Möglichkeit, ein Selbstbetrüger zu werden, wie diese etwa Christoph Martin Wieland und Karl Philipp Moritz führen. Sie skizziert, warum unter anderem Bernhard Bolzano für die Kunst einer weisen Selbsttäuschung werben kann und zeigt auf, dass gegenwärtige Exegeten oft zu leichtfertig die uns aktuell beschäftigende »Selbsttäuschung« in Texten früherer Autoren finden. Denn wenn Augustinus ein
se seducere zum Haupthindernis des »Tuns der Wahrheit« macht, dann skizziert er ein Phänomen, das von einer gewöhnlichen Selbsttäuschung deutlich abweicht; und auch für Blaise Pascal und Kant ist die Kunst der Selbsttäuschung nicht so fundamental, wie wir das gegenwärtig vielfach lesen - umso zentraler sind ihnen ein
aveuglement und eine
innere Lüge . Simone Neuber entfaltet, was es damit auf sich hat und inwiefern Sartre mit seiner
mauvaise foi ein neues Paradigma des Nachdenkens einführen möchte.
Inhaltsübersicht:
Vorwort
Einleitung1. Zum Selbstbetrug als einem aktuellen philosophischen Problem1
2. Begriffs- und ideengeschichtliche Annäherungen an Selbstbetrug
3. Zum Weg dieser Arbeit
Teil I – Eine Art der Tücke, die Selbstbetrug genannt zu werden verdient – Daniel Dykes vergessener Benennungsakt und dessen Hintergründe1. Vorbemerkungen
2. Warum self-deceit? Dykes Benennungsakt und dessen offenbarungstheologischer Rahmen
3. Was ist eigentlich self-deceit?
4. Zur Funktion von Dykes Reflexion auf den Selbstbetrug
5. Dykes Selbstbetrug im pneumatologischen Spannungsfeld
6. Dualismen und ihre Probleme
7. Dykes Weichenstellung im Kontext von Jer 17,9 und ein Seitenblick auf Luther
8. Fazit
9. Zusammenfassung von Teil I
Teil II – Selbstverführung statt Selbsttäuschung. Rekonstruktionsversuch einer augustinischen Gedankenfigur1. Vorbemerkungen
2. Augustinus zur Selbsttäuschung. Die Forschungssituation
3. Was ist und was leistet Augustins Gedankenfigur einer seductio sui? Eine Feinbestimmung
4. Ergänzungen und Verortungen
5. Fazit
6. Zusammenfassung von Teil II
Exkurs: Petrarcas Blick auf Augustinus als Selbsttäuschungsdiagnostiker in dessen Secretum meum1. Vorbemerkungen
2. „Augustinus“ als Selbsttäuschungsdiagnostiker
3. Vom Scheitern der Heilung
4. Die Diffusion der Selbsttäuschung
Teil III – Selbsttäuschung als neues Fundamentalproblem? Einige Diskussionen im französischen 17. und deutschsprachigen 18. Jahrhundert1. Übergang
2. Etappen auf dem Weg zum diagnostischen Begriff im deutschsprachigen 18. Jahrhundert
3. Exemplarische Selbsttäuschungsblüten im Frankreich des 17. Jahrhunderts?
4. Zusammenfassung von Teil III
Teil IV – Angst vor der Wahrheit: Heidegger und Sartre1. Einleitendes
2. Heideggers Angst vor der Wahrheit der Existenz
3. Sartres unendliches Begehren nach dem Sein und wie es
schlechten Glauben nährt
4. Zusammenfassung von Teil IV
Schlussbetrachtung