In der Beteiligung evangelischer Akteure an den ethischen Debatten in der alten Bundesrepublik bildet sich die spezifische Gestalt eines bundesdeutschen Nachkriegsprotestantismus aus. Der vorliegende Band dokumentiert Fragestellungen, Erkenntnisinteressen und erste Einsichten einer interdisziplinären Forschergruppe.
Ethische Debatten um Frieden und Freiheit, um Ehe und Familie, um soziale Gerechtigkeit und Schutz der Umwelt wurden rasch zu zentralen Selbstverständigungsdebatten der jungen Bundesrepublik. Protestanten haben sich an ihnen mit großem Deutungs- und Gestaltungswillen beteiligt, und zwar in kirchlich-konfessionellem, individuellem und gesellschaftlichem Engagement. Daraus formt sich die spezifische Gestalt eines bundesdeutschen Nachkriegsprotestantismus. Die Studien in diesem Band dokumentieren systematische Fragestellungen, fachspezifische Erkenntnisinteressen und erste Einsichten einer interdisziplinären Forschergruppe, die sich in der Verschränkung von theologischen, zeithistorischen, juristischen und politikwissenschaftlichen Perspektiven mit der inneren Vielgestaltigkeit des Protestantismus, der Vielfalt seiner gesellschaftlichen Ausstrahlung und der Komplexität seiner eigenen Veränderungsdynamik befasst.
Inhaltsübersicht:
Vorwort
I. Einführung ins ThemaChristian Albrecht/Reiner Anselm: Zur Erforschung des Protestantismus in den ethischen Debatten der Bundesrepublik Deutschland 1949-1989
II. Grundlegende FragestellungenAndreas Busch: Politische Mitwirkung des Protestantismus -
Hans Michael Heinig: Protestantische Vorstellungen demokratischer Rechtserzeugung -
Christiane Kuller: Der Protestantismus und die Debatten um den deutschen Sozialstaat -
Claudia Lepp: Der Protestantismus in den Debatten um gesellschaftliche Integration und nationale Identität -
Christian Albrecht: Protestantische Kommunikationsformen -
Reiner Anselm: Individualisierungsprozesse als Referenzpunkt theologisch-ethischer Theoriebildung -
Martin Laube: Die bundesrepublikanische Gesellschaft im Spiegel der theologischen Ethik
III. FallskizzenStefan Fuchs: Politische Einflusswege des Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Wiedervereinigung -
Tobias Schieder: Die Rechtfertigungsfähigkeit des Rechtsungehorsams -
Felix Teuchert: Normativer Anspruch, theologische Deutung und soziologische Analyse. Die evangelische Akademie Hermannsburg-Loccum in den Debatten über die Integration der Ostvertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft -
Sabrina Hoppe: »Aber wir können doch nicht alle Leute, die zu diesen Dingen etwas zu sagen haben, mit heranziehen!« Das Netzwerk Friedrich Karrenbergs als exemplarisches protestantisches Netzwerk in der frühen Bundesrepublik -
Teresa Schall: Kommunikation des Protestantismus. Wirkungen und Rückwirkungen von Rundfunkkommentaren zum Kirchentag 1969 auf das mediale Bild des Protestantismus -
Philipp Stoltz: Tische statt Huthaken. Werner Simpfendörfers Konzeption des »baulichen Provisoriums« als Modell protestantischer Verantwortung in der Gesellschaft -
Sarah Jäger: Individualisierung als Herausforderung. Der Protestantismus vor Fragen von Sittlichkeit, Sexualethik und Geschlecht in den 1950er und 1960er Jahren -
Hendrik Meyer-Magister: Individualisierung als Nebenfolge. Das Engagement des Protestantismus für die Kriegsdienstverweigerung in den 1950er Jahren -
Georg Kalinna: Die 'Obrigkeitsdebatte' als Bewährungsprobe protestantischer Tradition. Das evangelische Staatsverständnis in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre zwischen Wandel und Beharrung
IV. AusblickChristian Albrecht/Reiner Anselm: Der bundesdeutsche Nachkriegsprotestantismus - Erste Umrisse