Der vorliegende Band deckt Konstellationen divergierender Ansprüche an ein religiöses Leben im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auf. Die Beiträge untersuchen das christliche Streben nach Vollkommenheit im Spannungsfeld von aktivem und kontemplativem, gemeinschaftlichem und solitärem Leben an einem breiten Spektrum diskursiver und erzählender Texte.
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Entwürfe einer
vita religiosa sind auf den Fluchtpunkt christlicher Vollkommenheit ausgerichtet, doch bringt das gemeinsame Ziel der
perfectio keineswegs einheitliche, sondern hochgradig divergierende Ansprüche an ein religiöses Leben mit sich. Insbesondere dort, wo das Streben nach
perfectio die Erfüllung voneinander abweichender oder widersprüchlicher Erwartungen verlangt, treten religiöse Normenkonkurrenzen und -konflikte ebenso zu Tage wie Strategien zu ihrer Bewältigung. Orientiert an Unterscheidungen wie der von
vita activa und
vita contemplativa deckt der vorliegende Band spannungsvolle Konstellationen divergierender Ansprüche an ein religiöses Leben in der Vormoderne auf. Neben Beiträgen aus Geschichtswissenschaft und Theologie setzt er einen literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt und berücksichtigt ein breites Spektrum diskursiver und erzählender Textsorten.
Inhaltsübersicht
Daniel Eder/Henrike Manuwald/Christian Schmidt: Einleitung –
Gert Melville: Erfolg und Scheitern der
vita perfectionis. Klösterliche Virtuosen des Glaubens im Mittelalter auf dem Prüfstand ihres Gewissens –
Christian Schmidt: vita mixta als
vita perfecta? Lebensformdifferenz und Vollkommenheit in der
Vita sancte Elyzabeth lantgravie (1236/37) des Caesarius von Heisterbach –
Henrike Manuwald: Otium sanctum in einer
vita mixta? Stand und Lebensform in
De contemplatione et vita activa Heinrichs von Bitterfeld –
Simone Kügeler-Race: »Entren þe wey of hy perfeccyon« –
The Book of Margery Kempe (ca. 1440) als Erbauungslehre im Kontext christlicher Vervollkommnung –
David Gabriel: Der
diener als eine Figur der
vita (non) perfecta? Über 'Vollkommenheit' und 'Lebensform' in der sog. 'Vita' Heinrich Seuses –
Max Alsmann: »nach dem willen gocz«? Zum Verhältnis von
vita communis und
vita solitaria in den Offenbarungen der Margareta Ebner –
Johannes Traulsen: Literatur und monastische Lebensform. Überlegungen zu ihrem Verhältnis am Beispiel des mitteldeutschen
Väterbuchs –
Björn Klaus Buschbeck: Ein vollkommenes Handwerk des Geistes? Gebet und Andacht als produktive Tätigkeiten im
Alemannischen Marienmantel und bei Dominikus von Preußen –
Daniela Bianca Hoffmann: Kartäusische Mönchsbischöfe im 12. Jahrhundert. Zu Diskursen über die Vereinbarkeit von Mönchs- und Bischofsideal im Hochmittelalter –
Daniel Eder: Das Leben des Bischofs. Die Aushandlung von heiligmäßiger
perfectio als narrative Herausforderung in den Legendentraditionen des Martin von Tours und Severin von Köln –
Florian Ruf: Der heilige Josaphat und Siddhārtha Gautama. Getrennt und doch zusammen auf der Suche nach der Vervollkommnung des Lebens –
Felix Prautzsch: Heiliger Herrscher und Anachoret. Die Aushandlung divergierender Ansprüche an ein religiöses Leben in Rudolfs von Ems
Barlaam und Josaphat –
Linus Möllenbrink: Das Kloster als Ort intellektueller Vervollkommnung? Bursfelder und Windesheimer 'Klosterhumanisten' und ihr Studium zwischen
vita activa und
vita contemplativa –
Carola Redzich: Zur Rechtfertigung kriegerischer Existenz in Martin Luthers Schrift
Ob kriegßleutte auch ynn seligem stande seyn künden