Der Hunger bleibt - wie Kriege und Seuchen - eine elementare Bedrohung des menschlichen Lebens und der sozialen Ordnung. Gesellschaften des Westens, die sich am Christentum orientierten, haben enorme Anstrengungen unternommen, den elementaren Mangel an Nahrung zu bewältigen, aber auch religiös zu verarbeiten. Diesen Bemühungen und ihren Grenzen geht der Band nach: vom Spätmittelalter über die Industrialisierung bis zur Globalisierung.
Hunger bedroht die Menschheit elementar - bis heute. In drei großen Zeitsprüngen analysieren die Autorinnen und Autoren dieses Bandes, wie die christliche Gesellschaft des Westens Hunger bekämpfte, aber auch, wie sie ihn religiös deutete.
Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit sind die Möglichkeiten effektiver Vorsorge begrenzt; Hunger ist eine Geißel Gottes, mit der er die allgegenwärtigen Sünden straft, oder aber eine Folge schwarzer Magie. Soll man also Buße tun oder Hexen verbrennen? In den Erwerbs- und Nahrungskrisen der Hochindustrialisierung entwickelt sich ein Sozialkatholizismus, der Mangel und Not zunehmend wirksam bekämpft, dieses Engagement aber gleichzeitig mit fundamentaler Kritik an der Ordnung von Politik und Wirtschaft verknüpft. Kann es eine christliche Fabrik und eine effektive Fürsorge geben, wenn die 'Irrtümer' der Moderne nicht behoben werden? Als die Folgen des Zweiten Weltkriegs fürs Erste überwunden sind, erlebt Europa eine 'Fresswelle'; gleichzeitig erscheinen in den Medien verstörende Bilder aus Biafra, Indien und der Sahel-Zone. Was kann der Westen tun, wenn die Wahrnehmung des Hungers sich entfernt und gleichzeitig globalisiert? Provoziert der Westen seinen eigenen Untergang, wenn er Unterentwicklung und Umweltzerstörung nicht in den Griff bekommt?
Inhaltsübersicht:
Andreas Holzem: Bedrohtes Leben - bedrohter Glaube (1400-1980). Religiöses und soziales Bewältigungshandeln in Hungerkatastrophen - zur Einleitung
1. Hunger - Sünde - Frömmigkeit (1400-1800)
Christian Jörg: Sündhaftigkeit - Hungersnot - göttliches Strafgericht. Zur Deutung von Klimaextremen, Missernten und Versorgungsengpässen in der Reformatio Sigismundi -
Manfred Jakubowski-Tiessen: »Was sol ein frommer gutherziger Christ thun?« Religiöse Bewältigungsstrategien von Hungerkrisen in der Frühen Neuzeit -
Jürgen Michael Schmidt: Gottes Zorn? Hunger, Religion und Magie in Südwestdeutschland im 16. und 17. Jahrhundert
2. Hunger - Caritas - Sozialstrategie (1800-1933)
Bernhard Schneider: Gottes Ordnung und der Menschen Werk in Zeiten der Massenarmut. Armutsdeutungen und Armenfürsorgepraktiken im katholischen Deutschland zwischen 1800 und 1850 -
Andreas Holzem: Hunger und 'Soziale Frage'. Dynamiken der Sozialreform im katholischen Deutschland (1850-1920) -
Christina Riese: Die Katholiken und die 'Sociale Frage'. Die Durchsetzung von neuen Wahrnehmungsmustern und Wissensparadigmen durch die Mitglieder des Arbeiterwohlverbandes auf den Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands (1870-1890)
3. Hunger der Dritten Welt - Wohlstand der Ersten Welt (1960-1980)
Thomas Großbölting: Von der Nächsten- zur Fernstenliebe? Bundesdeutsche Kirchen auf der Suche nach Relevanz zwischen 1960 und 1980 -
Benedikt Brunner: Kirche für andere - Kirche für die Welt. Hunger und Armut als Katalysatoren des Wandels westdeutscher Kirchenkonzepte -
Florian Bock: »Wir wollen einfach die Lebensbedingungen der Menschen verbessern.« Zum Paradigmenwechsel der katholischen Entwicklungshilfe in der Bundesrepublik um 1968 -
Johannes Stollhof: »Ein Millionen-Volk wird ausgehungert!« Die Wahrnehmung der Hungerkatastrophe in Biafra zwischen 1967 und 1970 im deutschen Katholizismus