Geschichtswissenschaft

Friedrich Cain

Wissen im Untergrund

Praxis und Politik klandestiner Forschung im besetzten Polen (1939–1945)

2021. X, 534 Seiten.

Historische Wissensforschung 14

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Während der deutschen Besatzung zwischen 1939 und 1945 wandten sich polnische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegen die Schließung von Bildungseinrichtungen und forschten in nahezu allen Disziplinen heimlich und im Verborgenen. Friedrich Cain zeigt, wie Praktiken und Abläufe in der 'Laborsituation des Krieges' ersetzt, neu eingerichtet oder dynamisiert wurden und wie stark Programme wissenschaftlicher Neutralität mit politischen Agenden in Einklang gebracht werden mussten.
Wissenschaftliche Forschung ist an spezifische Orte, Zeiten und Praktiken gebunden, die durch unzählige explizite und implizite Regeln eingegrenzt werden. Was aber geschieht, wenn diese Konfigurationen auseinanderbrechen? Friedrich Cain untersucht dies anhand der Forschungen, die polnische Wissenschaftler im Verborgenen durchführten, als das Land im Zweiten Weltkrieg unter deutscher Besatzung stand. Alle polnischen Bildungseinrichtungen und Forschungsstätten wie Schulen, Akademien und Universitäten, aber auch Bibliotheken und Labore wurden geschlossen und blieben 'nur für Deutsche' zugängig, denn ein 'Arbeitervolk', so die Rassentheorien der Besatzungsmacht, brauche keine höheren Kultureinrichtungen. Viele polnische Wissenschaftler wandten sich jedoch gegen die Verbote und versuchten weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Neben der Organisation geheimer Seminare im Rahmen sogenannter Untergrunduniversitäten gelang es in nahezu allen Disziplinen klandestin zu forschen. Die Studie folgt soziologischen Untersuchungen einer Gesellschaft unter Besatzungsbedingungen, medizinischen Forschungen zur Hungerkrankheit und zum Fleckfieber sowie der Einrichtung physikalischer Experimentalzusammenhänge in Warschau, Krakau, Lemberg und anderswo. Versteckt in Privatwohnungen, getarnt als offizielle Unternehmen oder an der Schwelle zwischen deutscher Administration und polnischem Untergrund wurden gewohnte Infrastrukturen, also das Arsenal von Geräten, Büchern, Techniken und Tugenden neu organisiert. All dies hatte spezifische epistemologische Auswirkungen, etwa wenn Projekte abgebrochen, neu eingerichtet oder in der 'Laborsituation des Krieges' dynamisiert wurden. Häufig führte dies zur politischen Aufladung wissenschaftlicher Neutralitätsgebote und musste mit den politischen und moralischen Narrativen des polnischen Widerstands in Einklang gebracht werden.
Personen

Friedrich Cain Geboren 1985; Studium der Kulturwissenschaften und Geschichte; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz und am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, seit 2021 an der Universität Wien; 2018 Promotion an der Universität Konstanz. https://orcid.org/0000–0002–3078–9933

Rezensionen

Folgende Rezensionen sind bekannt:

In: H-Soz-Kult — https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50296 (Michal Adam Palacz)
In: Neue politische Literatur — 67 (2022), S. 215–217 (Fabian Link)
In: Zeitschr. f. Ostmitteleuropa-Forschung — 72 (2023), S. 308–309 (Grzegorz Rossolinski-Liebe)